Hallo VeeVee,
damit du nicht ganz entmutigt wirst möchte ich dir von ein paar meiner Erfahrungen und meinen Theorien zu Blaualgen zu lesen geben.
Sozusagen zur Überbrückung bis es in deinem Aquarium wieder hell wird.
Das ist ein Bericht aus der Vergangenheit, den ich schon einmal an anderer Stelle geschrieben habe. An der Gesamtsituation hat sich aber bis heute, abgesehen davon das ich keine Blaualgen mehr habe, nicht geändert.
Zum Bericht:
Kurz nachdem ich mein Abenteuer Aquarium nach ca. 25 Jahren Abstinenz gestartet habe wurde ich von Blaualgen überrascht und habe mich seit dem (ca. 2 Monate) recht intensiv mit der Problematik Alge im Aquarium beschäftigt und bin auf ein paar, meiner Meinung nach, interessante Dinge gestoßen.
Ich möchte einige Arbeitsthesen aufstellen und erhoffe mir eure konstruktive Diskussion.
These 1: Redfield Ratio - ein Flop
These 2: Die Entstehung von Blaualgen ist nachvollziehbar und reproduzierbar
These 3: Der Krieg wird um Besiedlungsflächen geführt
These 4: Gutes Pflanzenwachstum verhindert keinen Algenwuchs
Als erstes möchte ich euch noch einmal kurz beschreiben wie der bisherige Entwicklungsverlauf meines Aquariums erfolgte damit nachvollzogen werden kann wie und wann mein Algenproblem entstanden ist und was meiner Meinung nach die Ursachen dafür sind.
Ich habe mein 500 Liter Aquarium Ende Januar eingerichtet und zwar streng nach Kochrezept. Erst einmal Bodengrund, Einrichtungsgegenstände und Pflanzen eingesetzt. Die Bepflanzung war eher spärlich und bestand aus zwei Echinodorus Ozelot, ein paar schnellwüchsigen Vallisnerien, mehreren Blyxa und einer Anubias nana.
Die Pflanzen legten sofort los und wuchsen wie der Teufel. Insbesondere den Echinodorus und Vallsnerien konnte man beim wachsen zuschauen.
Insgesamt sehr zufriedenstellend.
Dann habe ich eine Zeit lang das fischlose Aquarium ein wenig gefüttert um die Nitrifikation in Schwung zu bringen, meiner Erinnerung nach ein paar Wochen, und dann, nachdem der Nitritpeak abgeritten war, die ersten Fische eingesetzt.
Dann dauerte es nicht lange und ich muss an den Blyxa und Vallisnerien Mangelerscheinungen in Form von Chlorosen feststellen. Anfänglich habe ich diese Zeichen noch nicht richtig ernst genommen, da ich dachte das wird die Umstellung von emerser auf submerser Haltung oder etwas ähnliches sein. An Nährstoffmangel habe ich zu dieser Zeit noch nicht gedacht.
Nach einer weiteren Woche waren die Chlorosen an den Vallisnerien und Blyxa deutlich ausgeprägter, die Echinodorus wuchsen mit enormer Geschwindigkeit weiter und die Anubias, von der ich sowieso keine Wachstumsexplosion erwartet hätte, sah so aus wie ich sie gekauft hatte.
Zusätzlich traten erste Blaualgen auf, nicht beunruhigend, aber sie waren da. Eine kleine Kolonie von ca. 4x4cm im beleuchteten Bodenbereich einer der Echinodorus.
Die Wasserwerte habe bis zu diesem Zeitpunkt mit Kombi-Meßstäbchen überprüft, mit Ausnahme von Nitrit und Karbonathärte, und da ich der angegebenen Nitratkonzentration nicht mehr vertraute erwarb ich einen Tropfentest (J**) und führte eine Messung durch. Ergebnis NO3=NN. :shock:
Weitere Informationen habe ich per Internet einzuholen versucht und mich durch wirklich Unmengen von Blaualgenthreads durchgelesen.
Dann stieß ich auf die Redfieldtheorie und kam zu dem Schluß: Das ist es!
Ein Irrtum wie ich heute weiß, aber glücklicherweise nicht fatal.
Zu These 1: Redfield Ratio - ein Flop
Kurzform:
Redfield hat 1934 offenbar eine größer angelegte Untersuchung über die Zusammenhänge von Algenbildung und Nährstoffkonzentrationen gestartet die verkürzt in der Erkenntnis gipfelte das zur optimalen Versorgung ein Verhältnis C-N-P von 106:16:1 bestehen sollte. Dann ist die Wahrscheinlichkeit am geringsten (aber nicht ausgeschlossen) von Algen in übermäßigem Maße heimgesucht zu werden.
C=Kohlenstoff
N=Stickstoff (Nicht verwechseln mit Nitrat!)
P=Phosphor (Nicht verwechseln mit Phosphat!)
C wird, unter anderem, durch das im Wasser gelößte CO2 bereitgestellt, Stickstoff hauptsächlich in Form von Ammonium sowie Nitrat und Phosphor in Form von Phosphat. Wenn das Verhätnis stimmt sollten nur noch wenige Algen entstehen, mehr noch, Algenplagen lösen sich nach einiger Zeit in Wohlgefallen auf. Zumindest stellt ein Redfield Ratio von 16:1 optimale Wachstumsvoraussetzungen für Wasserpflanzen dar und optimal versorgte Pflanzen erschweren durch Nahrungskonkurenz den Algen das Überleben. So stand es geschrieben, ist aber nach meinen heutigen Erkenntnissen
völlig falsch!
Angestachelt von diversen positiven Berichten, hauptsächlich von holländischen Pflanzenaquarienbesitzern, fasste ich den Entschluss mein Nitrat-, Phosphatverhältnis entsprechend anzupassen um den Blaualgen den Garaus zu machen.
Nachdem ich mir über den aktuellen Phasphatgehalt in meinem Aquarium Gewissheit verschafft hatte (ca. 0,5 mg/l) besorgte ich mir Kaliumnitrat in der Apotheke und baute mir einen Stickstoffdünger um Nitrat entsprechend Redfield anzuheben.
Nach sorgfältiger Überprüfung der Konzentrationen meiner Mischung dosierte ich ein wenig Kaliumnitratlösung in meine Aquarium und war auf das Schlimmste gefaßt. Wie würden es die Fische aufnehmen? Ist das nicht Gift für die Fische? All das ging mir durch den kopf. Nichts davon. Die Fische schien es nicht im geringsten zu beeindrucken.
Ich beobachtete von diesem Zeitpunkt natürlich genau die Reaktion meiner Fische und auch der ca. 16 Quadratzentimeter Blaualgen.
Erst einmal keine Veränderung. :shock:
Nach ein paar Stunden konnte ich aber an den Rändern der zusammenhängenden Fläche erste Veränderungen feststellen. Irgend etwas ging vor. Die Blaualgenkolonie veränderte sich, die homogene Fläche brach an einzelnen Stellen auf und es entstanden mit der Zeit einzelne isolierte Bereiche, fast so wie wenn man Lack auf einen nicht peinlichst entfetteten Untergrund sprüht.
Dann kam die Nachruhe und meine Beobachtungen wurden mangels Licht unterbrochen.
Am nächsten Morgen konnte ich es natürlich nicht erwarten bis das Licht das Aquarium beleuchtete und ich mich vergewissern konnte das es meinen Pfleglingen gut ging. Kurz gesagt: Alle wohlauf als wenn nichts gewesen wäre. Die Blaualgen lagen nur noch als kleine schwarze Kügelchen am Boden herum. Sieg auf der ganzen Linie dachte ich.
Es ist das Verhältnis von Nitrat zu Phosphat was zum Erfolg führt dachte ich. Falsch!
Die Blaualgen breiteten sich über den nächsten Tag wieder etwas aus, aber bei weitem nicht mehr in der Fläche wie an den Tagen zuvor.
Da ich mit der ersten Dosierung am unteren Limit geblieben war und da ich mir nicht sicher war wie diese Manipulation auf die Fische wirken würde, sah ich die Möglichkeit einer vorsichtigen stärkeren Dosierung. Ich hob die Nitratkonzentration von 5 mg/l auf 10 mg/l in mehreren Schritten über einige Stunden an.
Die Blaualgen reagierten äußerst irritiert und die Fische kümmerte es nicht.
Das bestätigte die Redfieldtheorie und mein Handeln immer mehr.
Nach einiger Zeit der Stagnation (bezogen auf die Blaualgen), ca 1 bis zwei Wochen später, faste ich den Mut an die nach Redfield höchste Dosierungsgrenze heranzugehen und damit auch zu riskieren sich eine Grünalgenplage einzuhandeln in der Hoffnung die Blaualgen restlos aus dem Aquarium zu eliminieren.
Kaliumnitrat zudosieren bis zur Grenze von 15 mg/l. Wie üblich, die Fische hat es nicht interessiert, aber die Blaualgen auch nicht. :shock:
Irgend etwas kann nicht stimmen. Wieso reagieren die Blaualgen nicht wie erwartet? Was läuft schief? Die Blaualgen müssten doch eigntlich bei genügend hohen Nitratkonzentrationen vollständig zurückgedrängt werden und es sollte langsam eine Neigung zu Grünalgen entstehen.
Wieder einige Tage warten Nitratkonzentration überprüfen und nochmals bis auf 20 mg/l hochdosiert. Jetzt muss es aber doch Grünalgenbildung geben. Fehlanzeige! :shock:
Die Blaualgen vegetieren in kleinsten Kolonien mal hier und mal dort im Aquarium, können sich offenbar nicht wirklich etablieren, werden aber auch nicht vollständig verdrängt. Grün- oder sonstige Algen kann ich bis heute so gut wie keine ausmachen.
Wenn die Redfield Theorie nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht hat, warum sind aber dann anfänglich so drastisch und bis heute, ich bitte den Gesamtzeitraum con ca. 10 Monaten diesbezüglich nicht aus den Augen zu verlieren, die Blaualgen erfolgreich am weiteren Wachstum gehindert worden?
Es kann nichts mit dem Nitrat-, Phosphatverhältnis nach Redfield zu tun haben, jedenfalls nicht in den Grenzen die in diesem Zusammenhang propagiert werden, und auch nicht innerhalb der Grenzen die im Sinne des aquaristisch vertretbaren Bereichs zulässig wären.
Den letzen Beweis lieferte mir ein Link auf die
Sammlung von Algenkulturen der Universität Göttingen.
Dort ist von Nährlösungen zur Kultivierung verschiedener Algenarten die Rede und für verschiedene Algenarten sind auch unterschiedliche optimale Nährlösungen angegeben.
Was mich stutzig werden ließ ist die Tatsache das der Nitrat-, Stickstoffgehalt der Nährlösung für Blaualgen (BG11)drastisch höher ist als der der Nährlösung für Grünalgen (K).
Das passt ja nun überhaupt nicht in die Theorie, ist sogar im umgekehrten Verhältnis zur Redfiledtheorie. Wieso sollen Nährlösungen für Cyanobakterien (Blaualgen) nun so deutlich mehr Nitrat enthalten um den Bakterien ein optimlaes Überleben zu gewährleisten?
Das führte mich dann zur:
These 2: Die Entstehung von Blaualgen ist nachvollziehbar und reproduzierbar
Wie kam es denn nun zur Entstehung der Blaualgen in meinem Aqaurium?
und warum bildeten sich keine Grünalgen? Wieso haben Nährlösungen für Blaualgen einen so hohen Nitratanteil?
Geht man davon aus das ein prinzipieller Stickstoffmangel, das war jedenfalls die Einzige mit meinen aquaristischen Möglichkeiten feststellbare Größe die Rückschlüsse zuließ, die Ursache sein könnte dann liest sich der Erfahrungsbericht stark verkürzt und in Stichpunkten etwa so:
- Aquarium wird eingerichtet und Pflanzen werden eingesetzt
- Aquarium wird gefüttert um den Filter zur Bioaktivität zu ermuntern
- Pflanzen wachsen recht gut und verbrauchen Nährstoffe, insbesondere Nitrat
- Nitrat (Stickstoff) läuft unbemerkt in die Mangelsituation, gegen Null
- Blaualgen treten nach einigen Tagen auf (Weil Stickstoff im Mangel)
- Nitrat (Stickstoff) wird über Düngung zugeführt, Blaualgen werden im Wachstum gestört.
- Weitere Nitrat (Stickstoff) Zuführung führt zu keinen signifikanten Änderungen.
Der Schlüssel ist die Nitratarmut.
Wenn kein Nitrat mehr zur Verfügung steht stellen Pflanzen und auch Algen, die ja recht verwandt mit den höheren Pflanzen sind, das Wachstum einfach ein oder es wird zumindest stark eingeschränkt bzw. gestört. Das gilt im übrigen nicht nur bei Nitratmangel sondern bei jedem Nährstoffmangel. Das ist die große Stunde der Blaualge die ja als eigentliche Bakterie eine Sonderstellung hat und in der Lage ist im Wasser gelößten atmosphärischen Stickstoff zu veratmen und somit weiter zu wachsen. Dadurch gewinnt die Blaualge den erforderlichen Vorteil in der Konkurenzsituation zu anderen Algen und Mikroorganismen.
Kann man den Fehler während der Einlaufphase meines Aquariums festmachen und ist dieser reproduzierbar? Ich denke ja. In meinem Fall wurde schlicht nur versäumt entsprechend Nitrat nachzudüngen in dem Maße wie es im Ökosystem Aquarium verbraucht wurde. Hätte immer genügend Nitrat zur Verfügung gestanden hätten die Blaualgen keine Chance gehabt sich gegen andere Algen und Mikroarganismen einen entsprechenden Vorteil zu verschaffen.
Diese Annahme wird auch durch diverse Berichte im Internet sowie durch die allgemeine Beobachtung und Feststellung gestützt das Blaualgen häufig nach Neueinrichtungen von Aquarien entstehen. Wenn bei diesen Neueinrichtungen auch Leitungswasser wie in meinem Falle verwendet wurde was relativ Nitratarm ist, in meinem Fall etwa 2 mg/l, dann tritt der Nitratmangel ohne Düngung und bei gutem Pflanzenwuchs in relativ kurzer Zeit auf und führt damit unweigerlich zur Blaualgenbildung. Einmal etabliert wird man die Blaualgen auch nur in den seltensten Fällen ohne eine Dunkelkur restlos wieder los. Die Blaualgen vegetieren dann mehr oder weniger traurig vor sich hin immer auf die nächste Chance lauernd.
Das erklärt auch warum nicht jedes neu eingerichtete Aquarium betroffen ist. Wird Leitungswasser verwendet mit deutlich höhere Nitratbelastung, bis zu 50 mg/l sind in Deutschland zulässig, dann tritt dieser Mangel entweder überhaupt nicht auf oder wird durch die Fütterung der später eingesetzen Fische kompensiert.
Läßt man nun Nitrat bewußt wieder in den Mangel laufen kann man sofort einen deutlichen Wachstumsschub der Blaualgen verzeichnen. Das funktioniert so präzise das ich meine Kleinstkolonien als Nitrat Dauertest betrachten kann. Wenn die Blaualgen anfangen zu wachsen, dann ist es an der Zeit den Nitratwert zu überprüfen und in 100% der Fälle, jedenfalls war das bisher bei mir so, muss Nitrat nachgedüngt werden.
These 3: Der Krieg wird um Besiedlungsflächen geführt
In meinem zugegebener Weise stark vereinfachtem Weltbild von Algen und Mirkroorganismen geht es nur um die Eroberung von Besiedlungsflächen.
Jede Kontaktfläche zum Wasser, selbst die Wasseroberfläche, die Haut der Fische und auch die Blätter, Stengel und Wurzeln der Pflanzen stellen Besiedlungsflächen dar die auch von Mikroorganismen und Algen besetzt sind.
Welche Alge oder welcher Mikroorganismus sich bevorzugt etablieren kann hängt, meiner Meinung nach, nur noch von den Fähigkeiten des Organismus ab und der Nährstoffsituation. Von der Vorstellung ein Aquarium ohne Algen betreiben zu können kann man sich guten Gewissens verabschieden. Ein Aquarium ohne Algen und Mikroorganismen gibt es nicht. Dummerweise entspricht ein mit Algen bewachsenes Aquarum überhaupt nicht unseren Zielvorstellungen und es wird den Algen immer wieder nach dem Leben getrachtet. Diese Einstellung habe ich in den vergangenen Wochen völlig verloren. Im Gegenteil ich finde sie ausgesprochen interessant und auch teilweise recht schön anzusehen.
These 4: Gutes Pflanzenwachstum verhindert keinen Algenwuchs
Es ist immer wieder zu lesen bei Algenplagen gehören viele schnellwachsende Pflanzen in's Aquarium. In dieser Pauschalität ist diese Aussage meiner Meinung nach nicht haltbar. Im Falle von Nitratarmut sogar kontraproduktiv.
Pflanzen stören sich eigentlich kaum um die in deren Umgebung tobende Schlacht um Besiedlungsflächen. Solange genügend Nährstoffe und Energie in Form von Licht zur Verfügung steht gehen diese einfach dem normalen Tagesgeschäft der Photosysnthese nach. Erst wenn die Aktivitäten der Pflanzen nachhaltig behindert oder gestört werden weil beispielsweise Nährstoffe von Mikroorganismen und Algen entzogen werden, oder wenn die Blätter durch Beläge überwuchert werden die die Energiezufuhr nähmlich das Licht reduzieren, oder sogar als Nahrungsquelle dienen wie im Falle von Pinselalgen, dann reagieren die Pflanzen durch Wachstumsverlangsamung oder sogar Stillstand.
Pflanzen sind aber ein guter Indikator was die Chancengleichheit der Algen und Mikroorganismen anbelangt. Wenn die Pflanzen gut wachsen, dann kann man daraus den Schluss ziehen das die Etablierungschancen für diverse Algen relativ gleich günstig sind und sich keine Algenart, bzw. -gattung in einer signifikanten Vorteilssituation befindet.
So das war's für's erste.
Allen die bisher durchgehalten haben und mein Posting bis zum Schluß durchgelesen haben möchte ich für das Interesse danken.
Ich erhoffe mir nun eine rege Diskussion und bitte bei all zu groben Fehlern meinerseits Milde walten zu lassen.
Schöne Grüße,
Guido